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Können die christlichen Kirchen einen Ausweg weisen aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise? Gibt es einen spezifisch christlichen Beitrag zur Lösung der Probleme des Finanz- und Wirtschaftssystems?
Eine Antwort auf diese Fragen, die in diesen Tagen oft gestellt werden, hat der Initiativkreis 9,5 in den 9,5 Thesen gegen Wachstumszwang und für eine zinsüberwindende kirchliche Währung niedergelegt. Dazu einige Erläuterungen:
Die Weltwirtschaft steht unter permanentem Wachstumszwang. Als Beleg dafür können schon die rastlosen und verzweifelten Bemühungen der Politik um Wirtschaftswachstum dienen. Die verhängnisvollen Folgen grenzenlosen Wachstums sind jetzt schon zu beobachten, sie werden sich in Zukunft noch deutlicher zeigen. Nichts auf Erden kann unendlich wachsen; Unendlichkeit kommt allein Gott zu.
Der Zwang zum Wirtschaftswachstum kommt aus den im derzeitigen System notwendigen Haben-Zinsen für langfristige Geldanlagen. Durch die positiven Zinsen wachsen alle Geldvermögen auf der Welt ständig in der Höhe des Zinssatzes, und das heißt: exponentiell, denn durch Zins und Zinseszinsen nimmt das Wachstum ständig zu. Die Banken finanzieren die Vermögenszinsen in der Regel aus den Zinsen, die sie für Kredite erhalten. Hält nun die Investitionsbereitschaft, das heißt die Nachfrage nach Krediten, nicht mehr mit dem Zinszuwachs der Vermögen Schritt, müssen die Vermögenszuwächse am Kapitalmarkt erwirtschaftet werden. Es gilt dann die Regel: „Spekulieren ist lukrativer als Investieren“. So kommt es regelmäßig zu den bekannten „Spekulationsblasen“, die ebenso regelmäßig „platzen“, da das Vermögenswachstum durch das reale Wirtschaftswachstum nicht mehr gedeckt ist. Denn jeder Cent Zins, der auf ein Vermögen gezahlt wird, muss irgendwo erwirtschaftet worden sein. Geld vermehrt sich nicht von selbst. Zinsbedingtes Vermögenswachstum erzeugt auf der einen Seite Reichtum, auf der anderen Seite Armut. Die Fakten sprechen hier für sich: Allein in Deutschland wurden 2007 über 200 Mrd. Euro Zinsen umverteilt – zu 90 % an 10 % sehr vermögende Haushalte. Von 1950 bis zum Jahr 2000 wuchsen die privaten Geldvermögen in Deutschland auf das 32-fache, während die Realwirtschaft im gleichen Zeitraum nur auf das 7-fache zugenommen hat. Es ist mithin nicht schwer, im Zinssystem jene „Strukturen der Sünde“ zu erkennen, auf die seit einiger Zeit die Kirchen und die Theologie hinweisen1.
Einen Ausweg aus dieser sich zunehmend dramatisierenden Lage bietet allein eine Währung, die in der Lage ist, auf marktwirtschaftlichem Wege langfristige Haben-Zinsen unterhalb der realen Wachstumsraten der Wirtschaft zu generieren. Dies wird von den Ökonomen, die das Dogma von der Neutralität des Geldes nicht teilen, seit langem gesehen. Doch stellt sich dann die Frage, wie die Funktion der „Umlaufsicherung des Geldes“, die der Zins wahrnimmt, ersetzt werden kann. Dazu liegen jedoch Modelle vor, die bereits praktiziert werden und bewährt sind. Heute finden wir auf diese Weise zinsüberwindende Währungen im Bereich der sog. Regionalwährungen wie z.B. dem „Chiemgauer“. Diese sind auf regionalen Wirtschaftsaustausch beschränkt und erfüllen dort die Funktion einer Zweitwährung.
Eine Idee ist nun, in den Kirchen eine den heutigen Wirtschaftsverhältnissen angepasste zinsüberwindende Zweitwährung nach dem Modell der Regionalwährungen einzuführen. Sie wäre, um dies vorweg zu sagen, auch im Bereich der Kirchen nur eine komplementäre Zweitwährung, die neben der offiziellen Währung bestehen würde. Sie könnte aber als eine Währung, die zunächst einmal zwischen kirchlichen Akteuren – Klöstern, Pfarrgemeinden, Verbänden etc. – in Geltung wäre, doch bereits einen beachtlichen Wirtschaftskreislauf in Gang setzen. Besondere Hoffnung setzen wir auf die Ordensgemeinschaften, die wirtschaftlich tätig sind und ja auch oft eine bedeutende Tradition ökonomischer Reform im Rücken haben. Nach und nach könnten dann auch außerkirchliche Anbieter neue Absatzchancen erkennen und in dieser Währung handeln. Der Effekt für die Gesamtwirtschaft wäre sicherlich zunächst nicht allzu groß. Doch würde eine solche Zweitwährung für das Finanz- und Wirtschaftssystem eine „Irritation“ bedeuten, auf die es reagieren müsste.2
Es bleibt noch die Frage, warum die Idee einer zinsüberwindenden Währung, wenn sie doch so gut ist, nicht auch in der Wirtschaft selbst umgesetzt wird. Die Antwort ist einfach: Weil sie dem wirtschaftlichen Grundsatz der Kapitalakkumulation und der Profitorientierung widerspricht. Im Klartext: Sie würde für die Vermögensbesitzer (auch für die Inhaber von bescheidenen Sparbüchern!) Einbußen bringen. Sie würde den Wachstumsmotor stoppen, der die Wirtschaft antreibt. Sie würde der Regel widersprechen, dass alles seinen Preis hat, auch das Geld.
Und an dieser Stelle kommen wir Christen, kommt der christliche Glaube ins Spiel. Denn Christen sind nicht auf die Regeln des Wirtschaftssystems verpflichtet. Sie handeln nach dem, was „würdig und recht“ ist, und das ist zuerst die freie und frohe Erfüllung des Willens Gottes – so hat es die theologische Tradition aller Konfessionen immer gelehrt. Gott will aber sicherlich nicht, dass seine Schöpfung durch maßloses Wirtschaftswachstum zerstört wird. Er hat der menschlichen Maßlosigkeit eine heilsame Grenze gesetzt: eben im Zinsverbot, das für die biblische Ökonomie grundlegend ist und das als kanonisches Zinsverbot in der Kirche die längste Zeit in Geltung stand. Christen können stolz darauf verweisen, dass Zeiten einer zinslosen oder weitgehend zinsfreien Währung großen gesellschaftlichen Reichtum und auch die herrlichen kirchlichen Kunstwerke hervorgebracht haben, an denen sich heute noch alle Welt erfreut.3 Daran kann heute angeknüpft werden. Die leitende Idee unserer Thesen ist demgemäß: Christen und Kirchen sollen nicht aus wirtschaftlichem Kalkül, sondern aus Glaubensüberzeugung ihr ökonomisches Handeln betreiben. Ganz konkret geht es uns darum, nach Wegen zu suchen, Gottes Gebot heute zu erfüllen. Das ist das, was Christen ansteht. Dass die Weisheit von Gottes Weisung menschliche Weisheit übersteigt, dass aus der biblischen und kirchlichen Wirtschaftsordnung auch eine bessere, menschenfreundlichere, dem Leben dienende, gerechtere und friedlichere Ökonomie entsteht, das ist im Glauben gewiss.
Damit zurück zu unsere Thesen. Sie sind ganz bewusst im Stile der 95 Thesen Martin Luthers gehalten. Denn auch Luther hat seine „Revolution“ des damaligen kirchlichen Finanzsystems nur vollbringen können, indem er an den Glaubensgehorsam der Christen appellierte; das Konzil von Trient ist ihm in diesem Punkt gefolgt (DH 1835). Die Überwindung der verführerischen und verderblichen Macht des Geldes ist eine konfessionsübergreifende Aufgabe der Christen, gerade heute. Wir glauben, dazu einen gangbaren Weg gefunden zu haben – der, das dürfte deutlich geworden sein, keinesfalls auf die Abschaffung der Marktwirtschaft abzielt, sondern den zentralen Konstruktionsfehler unseres Geldsystems beheben will.
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[1] “Das Zinssystem bietet den institutionell-rechtlichen Rahmen, in dem „Gier nach Profit“ und „Machtstreben“ als anerkannte und notwendige Triebfedern menschlichen Handelns fungieren. In ihnen aber erkennt Johannes Paul II. „sündhafte Haltungen“, die das „Entstehen von ‚Strukturen der Sünde’ begünstigen“. Hinter „Entscheidungen, die scheinbar nur von Wirtschaft und Politik getragen sind“, verbergen sich – so in seiner Enzyklika „wahrhafte Formen des Götzendienstes (...): gegenüber Geld, Ideologie, Klasse und Technologie“. Die Erkenntnis der „wahren Natur des Bösen“ aber sei die Voraussetzung, um „auf der Ebene menschlichen Verhaltens den Weg genau anzugeben, den man gehen muss, um es zu überwinden.“ Sollicitudo rei sozialis“ Nr 37.
[2] Für weitere Information verweisen wir auf: Kennedy, Margrit: Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das jedem dient, München 1994; Kennedy, Margrit/Lietaer, Bernard A.: Regionalwährungen. Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand, München 2004; Creutz, Helmut: Das Geld-Syndrom. Wege zu einer krisenfreien Wirtschaftsordnung, München 2001; Kastner, Heiko (Mitunterzeichner): Mythos Marktwirtschaft. Die irrationale Herrschaft des Geldes über Arbeit, Mensch und Natur, Bochum 2002; Ruster, Thomas (Mitunterzeichner): Von Menschen, Mächten und Gewalten. Eine Himmelslehre, Ostfildern 2007, bes. S. 97-116; Moewes, Günther: Geld oder Leben. Umdenken und unsere Zukunft nachhaltig sicher, Wien-München 2004.
[3] Nachdrücklich sei auf die Ausführungen des Historikers PETER HERSCHE zum „katholischen Wirtschaftsstil“ im Zeitalter des Barocks verwiesen: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg-Basel-Wien, 2006, bes. Bd.1, S. 442-527: Es gab bis zum Ende des 18. Jh. in den katholischen Ländern eine weitgehend zinsfreie Währung!; dazu auch RUSTER, THOMAS (Mitunterzeichner): Wandlung. Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie, Ostfildern 2006, bes. S. 33-47; 107-119.
(Auszug aus einem Brief des Initiativkreises an die katholischen und evangelischen Bischöfe, Ordensleitungen und kirchlichen Organisationen im deutschsprachigen Raum vom Dezember 2008)